»Kultur und Informatik« geht neue Wege

Über zwanzig Jahre lang war Berlin der Standort der internationalen Tagung »Kultur und Informatik«. Teilnehmer aus europäischen Ländern, wie Deutschland, Italien, Österreich, Bulgarien, Dänemark oder Ukraine, aber auch aus Namibia, Südafrika, Ägypten, Malaysia, Taiwan, Korea, USA, Kanada, Kolumbien oder Hong Kong kamen ins Schloßmuseum Köpenick, ins Bode-Museum, ins Pergamon-Museum oder ins Konzerthaus Berlin, um dort gemeinsam über den Einsatz aktueller Computertechnologien im Bereich der Kulturvermittlung, des cultural heritage, der Mensch-Computer-Interaktion oder von Big-Data Technologien immer auch aus der konkreten Anwendungsperspektive heraus nachzudenken. Es ging darum, sich über Chancen, Herausforderungen und Probleme auszutauschen, Netzwerke auszubilden und so die Idee einer gemeinsamen Arbeit am Wechselverhältnis von digitalen Medien, Visualisierungstechniken und Human-Computer Interaktion einerseits und von Kultur und insbesondere Kulturtechniken andererseits voranzutreiben.

Nach 20 Jahren »Kultur und Informatik« in Berlin und der zunehmenden Internationalisierung der Referenten wie auch der überigen Teilnehmer mussten neue Wege der Tagung für die Zukunft diskutiert werden, weshalb im vergangenen Jahr ein Workshop zur Weiterentwicklung der Tagung in Steinhöfel stattfand. Dort wurde beschlossen, die Tagung von ihrem bisherigen festen Standort Berlin zu lösen und in ein rotierende internationales Format zu überführen – ein Experiment, das 2023 erstmals gelingen musste und auch gelang. Unter Federführung von António Bandeira Araújo und Lucas Fabian Olivero wurde die Tagung in Portugal an der Faculdade de Belas-Artes da Universidade de Lisboa durchgeführt. Als wichtiger weiterer Entwicklungsschritt gelang es zudem, die Tagung unter das ACM-Label (Association for Computing Machinery) zu stellen und die angenommenen Beiträge in der ACM Digital Library zu publizieren. Ein wichtiger Benefit für die Publikation der Tagungsbeiträge, weshalb auch zahlreiche neue Partnerländer und Beiträge für das peer review-Verfahren gewonnen werden konnten.

Thematisch stand die diesjährige Tagung in Lissabon unter der Überschrift »Code and Materiality«. Exemplarisch für die Breite, v.a. aber auch für die Tiefe der präsentierten Beiträge lassen sich die Paper aus Malaysia (Gary Loh Chee Wyai), aus Italien (Giorgio Verdiani) und aus Portugal (António Bandeira Araújo und Lucas Fabian Olivero) anführen. Eindrucksvoll schilderte Gary, wie er sich über viele Jahre hinweg sukzessive Zugang zur Kultur der indigenen Kommunity der Iban auf Borneo verschafft hatte, indem er nicht von seinem eigentlichen Handlungsziel einer Vermittlung von Mobilfunktechnologien in die indigenen Bevölkerungsgruppen ausging. Vielmehr wurde der erste Sprachkontakt über eine Reihe von Alltagsgegenständen der Iban wie einer Fischreuse, einem Gong oder einer Flasche Reiswein hergestellt. Indem sich die Bewohner des Longhauses und Gary über unzählige Treffen hinweg sukzessive der Bedeutung dieser Gegenstände innerhalb der Community und die digitale Kommunikation annäherten, war die Grundlage dafür geschaffen, die Semantik der Tokens auf Mobilfunkttechnologie zu übertragen: So, wie die Fischreuse eine nachhaltige Form des Befischens der Flüsse erlaubt, müssen auch die Bandbreiten der ruralen Mobilnetze verantwortungsbewusst genutzt werden. Ein weiteres Beispiel für den Bedeutungstransfer ist ein Gong, der nur über eine bestimmt Distanz gehört werden kann, und somit Informationsübertragung ermöglicht. Damit ist der Gong ein sehr gutes Symbol für die Distanz zu Hotspots und die Empfangsbereitschaft von Mobilfunk oder auch WLAN.

Ebenso eindrucksvoll schilderte Giorgio, wie er und sein Team ein dreidimensionales Modell der Mona Lisa aus im Gemälde vorhandenen Rauminformationen wie Schattenwurf, Farbübergänge und Perspektive hergestellt hat, um auch blinden Museumsbesuchern eine Teilhabe an diesem Kunstwerk zu ermöglichen. Auch Antonio und Lucas widmeten sich in ihrem Vortrag den Herausforderungen räumlicher Erfahrung in der zweidimensionalen Papierfläche – ein Projekt, das sie immersive sketching bezeichnen, und für das sie computerbasierte Werkzeuge entwickeln, in welche die jahrelangen eigenen zeichnerischen Erfahrungen mit unterschiedlichen Raumprojektionen eingegangen sind.

Weitere Beiträge adressierten Methoden zur Visualisierung historischer Bezüge in öffentlichen Gebäuden (Linda Hirsch), neue Verfahren zur Analyse der Rezeption öffentlicher Installationen (Patrick Tobias Fischer) und von Kulturerbestätten (Colter Wehmeier) sowie Beispiele immersiver Anwendungen in Museen und Konzerthäusern (Sophie Schauer). Der Exzellenzcluster wurde durch Lucas Rodrigues aus dem Projekt Virtual Dissection (Cutting) vertreten, der eine empirische Anforderungsanalyse zur Unterstützung von Paleontologen durch digitale Werkzeuge sowie entsprechende Gestaltungsanforderungen präsentierte. Extended-Reality-Systeme und Methoden der Künstlicher Intelligenz (KI) bildeten die technologischen Schwerpunkte der Tagung. Kontrovers wurden die Wirkung von KI in künstlerischen Schaffensprozessen sowie Fragen der Autorenschaft diskutiert.

Den Schluss der Tagung bildete der Blick in die Zukunft. 2024 wird die Tagung »Kultur und Informatik« unter der Leitung von Stefano Bertocci, Giorgio Verdani und Federico Cioli an der Universität Florenz stattfinden.

Vier Themenschwerpunkte werden im Vordergrund stehen:

  1. Dealing with disaster: Old and recent, natural and human, digital approaches and digital intervention.

  2. Heritage under climate change treat: Digital countermeasures strategies for raising the awarness.

  3. Steps forward in digital heritage: Innovative and advanced approaches to the digitalisation of the heritage.

  4. Humanising the informatics: Dealing with AI, dealing with big data, dealing with humanity.

Gerade die Frage nach der Rolle und Funktion von Informatik innerhalb der aktuellen klimatischen und sozialen Herausforderungen ist dabei hoch anschlussfähig an die umweltlichen Ansätze innerhalb des Filteringprojekts. Wir sind gespannt auf die Tagung »Kultur und Informatik« 2024 und hoffen, dass wir die Tagung 2025 wieder in Berlin sowie 2026 in Polen durchführen werden können.