Oranienburg-Post Nr. 4

Stoffgeschichte

Luftbilder

Aus den vorangegangen Archivarbeiten liegen uns jetzt hochauflösende Lagepläne der Auer-Werke sowie Luftbilder nach der Bombardierung des Geländes vor. Unsere rudimentären Photoshop-Kenntnisse reichten aus, um das Material so übereinander zu montieren, dass der Zerstörungsgrad einzelner Gebäudekomplexe genau erkennbar wurde. Ein erster klarer Befund: Die Zerstörung war weitaus weniger flächendeckend als bisher angenommen. Einzelne Gebäudeteile blieben zumindest teilweise intakt, während andere vollständig zerstört wurden. Vermutlich kam es damit zu zwei sehr unterschiedlichen Prozessen. Einerseits wurden vorhandene Rohstoffe, Materialien, Chemikalien etc. weitläufig auf dem Gelände verteilt mit entsprechenden Umweltschäden. Andererseits konnte die russische Armee in den verbliebenen Gebäuden noch vorhandene Maschinen und Stoffe konfiszieren.

Montage einer Luftbildaufnahme vom April 1945 mit einem Lageplan von 1935.

Um beide Prozesse genauer differenzieren zu können, war im nächsten Schritt eine detailierte Analyse der Produktionsabläufe und deren Abbildung auf die Werkstruktur notwendig. Im Lageplan von 1935 sind die einzelnen Gebäude etwa als T-Fabrik, Alte T-Fbr., Benzol-Lager oder Erz-Lager-Platz bezeichnet. Allerdings lassen sich aus diesen Angaben alleine die Produktionsabläufe nicht ablesen. Notwendig war also eine Kenntnis der prinzipiellen Praktiken und Techniken zum Aufschließen der vor Ort verarbeiteten Rohstoffe.

Stoffgeschichte

Um die Produktionsabläufe in den Auer-Werken genauer rekonstruieren zu können, musste zunächst die Frage geklärt werden, wie es dazu kam, dass sich Auer von Welsbach mit Thorium beschäftigte. Dies bedeutete im ersten Schritt, die Wissensgeschichte der Seltenen Erden aufzuarbeiten. Genau in der dritten Phase, der Hochphase der Erforschung dieser Elemente etwa zwischen 1879 und 1890, wechselt Auer von Heidelberg nach Wien, um sich dort u.a. mit Hilfe der von Lieben und Bunsen kurz zuvor entwickelten Spektroskopie intensiv mit der Zusammensetzung der Seltenen Erden zu beschäftigen. Wohl auch durch Bunsen in Heidelberg hatte er die Anregung erhalten, die Lichtausbeute mittels glühender fester Stoffe zu erhöhen, um die Auflösung der Spektrogramme zu verbessern. Genau an dieser Stelle kommt es, so ist zu vermuten, zum entscheidenden Rückkopplungseffekt: Lanthansalze, die in größerer Menge bei der Trennung des Didyms angefallen waren, verwendete Auer, um die spektroskopische Beurteilung der von ihm tagtäglich durchgeführten Aufschlussverfahren zu optimieren. Systematisches Testen und Optimieren führte schließlich zum ersten Glühstrumpfpatent »Aktinophor« von 1885.

Geschichte der Seltenen Erden, Skizze aus dem NL Auer, Archiv Technikmuseum Wien.

Darin jedoch nicht enthalten war Thorium, das die Basis für die 1891 patentierte und dann stabile Zusammensetzung der sogenannten »Imprägnierflüssigkeit« für die Glühstrümpfe darstellt. Offen ist somit die Anschlussfrage, wie das Thorium ins Spiel kam, das zugleich die Hauptquelle für alle radioaktiven Kommodifizierungsprodukte darstellte.