Kulturtechniken

Aktuelle Projekte zur Kulturtechnikforschung

Filtering

Exzellenzcluster »Matters of Activity«, seit 2018

Große und komplexe Datenmengen werden ebenso auf relevante Informationen gefiltert, wie Wasser durch Filter gereinigt und so zu Trinkwasser wird. Filter selektieren, extrahieren und verändern – wie sie das tun, ist jedoch oft schwer nachzuvollziehen oder bleibt gar unsichtbar.
 
Das Projekt »Filtering« untersucht Filter mit historischen, experimentellen und rechnerischen Ansätzen. Welche Informationen können zum Beispiel durch neue Filtertechniken verstärkt werden? Wie können Prozesse wie die Speicherung, Kommunikation und Verarbeitung von Daten und Bildern oder auch analogen Räume und Materialien durch Filterung verändert werden? Entstehen dabei gar Muster? Die Wissenschaftler∗innen fokussieren sich in ihren Untersuchungen auf essentielle physikalische Mechanismen bis hin zu makroskopischen Untersuchungen. In Zeiten digitaler Kultur will das Projekt analoge Filter neu erforschen und somit das Analoge im digitalen Zeitalter neu etablieren.
 
https://www.matters-of-activity.de
Publikationen
  1. Preprint
    Theorie des Filterns. Zur Programmatik eines Experimentalsystems
    Cubasch, Alwin J. Engelmann, Vanessa und Kassung, Christian
    2021
  2. Preprint
    Sind Kulturtechniken kontextneutral? Und wenn nein: Was bedeutet das für die Bürokratie als einer Kulturtechnik der Kolonisierung?
    Kassung, Christian
    2021
  3. Aufsatz
    (Re-)Konstruktion als Experiment. Sehen und Hören in antiker Architektur
    Kassung, Christian und Muth, Susanne
    In: Experimentieren. Einblicke in Praktiken und Versuchsaufbauten zwischen Wissenschaft und Gestaltung,  2019

Industrielle Fleischproduktion

Buchprojekt, abgeschlossen 2019

Roh, gekocht, kalt, heiß, fettig oder mager – Fleisch ist heute überall und jederzeit verfügbar. Die allgegenwärtige Verfügbarkeit von Fleisch als Konsumware unterscheidet unsere Moderne von allen vorherigen Epochen. Wer verstehen will, warum und wie wir Fleisch essen, muss ins Berlin des 19. Jahrhunderts zurückgehen. Hier erlangte Fleisch jene Selbstverständlichkeit, die im Zentrum der aktuellen Ernährungsdebatten steht.
 
Das Buch beschreibt die Kulturtechniken der industriellen Schweinefleischproduktion von der Zucht, der Haltung, der Schlachtung bis hin zur Distribution und Zubereitung. Er schildert, wie erst durch die Verschränkung einer Vielzahl industrieller Prozesse und Technologien die energiereiche Ernährung der arbeitenden Bevölkerung sichergestellt werden konnte. Der Fleischkonsum wurde damit im großstädtischen Alltag so stark wirksam, dass unser kulinarisches System dadurch bis heute geprägt ist. All dies fügt sich zu einer Geschichte des Überflusses zusammen – und regt zum Nachdenken über die historischen Bedingungen unserer eigenen Ernährungskultur an.
 
https://www.schoeningh.de
 
Rezensionen/Presse
Publikationen
  1. Monographie
    Fleisch. Die Geschichte einer Industrialisierung
    Kassung, Christian
    Ferdinand Schönigh,  2020
  2. Aufsatz
    Schnittstelle Laderampe. Zur Infrastruktur des Schlachthofs
    Kassung, Christian
    In: Materialität der Kommunikation,  2019
  3. Aufsatz
    Vor dem Fleisch. Infrastruktur und Kulturtechniken des Viehhandels im Kontext der Industrialisierung
    Kassung, Christian
    In: De/Synchronisieren? Leben im Plural,  2017

Gedankenlesen

DFG-Projekt, 2015–2019

Das Forschungsprojekt nahm sich zum Ziel, den Gegenstand des so genannten Gedankenlesens zu untersuchen. Gedankenlesen (mind reading) war seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ein Bezugspunkt für ein Ensemble von Akteur∗innen, die im Grenzgebiet der offiziellen Wissenschaften unterschiedliche Techniken diskutierten und erprobten, um jenseits der bekannten Kräfte und Eigenschaften von Geist und Materie ein Wissen über die Gedanken anderer Menschen zu erlangen. Dieses Praxis- und Forschungsfeld lässt sich insofern als nicht-hegemonial definieren, als seine Akteur∗innen keine nachhaltige Definitionsmacht über als legitim betrachtete Techniken im Forschungsfeld der Psychologie, Psychoanalyse und Psychiatrie besaßen. Das Projekt fragte danach, in welchem Ausmaß Gedankenlesen dennoch zu einem Ausgangspunkt wurde, innerhalb der hegemonialen Diskurse und Praktiken neu und anders über Techniken der Wissensgenerierung über die Gedanken und Gefühle anderer Menschen nachzudenken. Als »Mind Reading« und »Gedankenlesen« wurde das Phänomen in unterschiedlich ausgerichteten Experimenten innerhalb der Psychologie und der Parapsychologie v. a. von wissenschaftlichen Gesellschaften wie der Society for Psychical Research (SPR) oder der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (gegr. 1904) untersucht.
 
Das Projektziel bestand also darin zu untersuchen, in welcher Weise Reflexionen über Gedankenlesen vor dem Hintergrund der Rezeption okkultistischen und parapsychologischen Wissens die Entwicklung neuer Technologien bis in die 1950er und 1960er Jahre inspiriert hat. Insbesondere galt es herauszufinden, inwiefern nicht-hegemoniale Wissenstechniken Auswirkungen auf die Entwicklung von Technologien gehabt haben, die sich zu ihrer Zeit oder später als hegemonial erwiesen haben.
 
Technologien des Gedankenlesens sollten im Rahmen des Projekts mit Vorstellungen des 19. Jahrhunderts aus dem Bereich des Okkultismus in Beziehung gesetzt werden. Genauer sollte untersucht werden, auf welche Weise die Entwicklung digitaler Technologien vor dem Hintergrund der Diskussionen über Gedankenlesen innerhalb des Okkultismus und der Parapsychologie neu verstanden werden müsse.
Publikationen
  1. Sammelband
    Mind Reading as a Cultural Practice
    Palgrave Macmillan,  2020

Analogsimulation

Kollegforschergruppe MECS, Leuphana Lüneburg, 2016–2017

Dem Forschungsvorhaben liegt die Idee zugrunde, die Frage nach den Medienkulturen der Computersimulation auf Experimentalsysteme zu übertragen, in denen vor dem Auftreten des Computers als Universalmedium Daten massiv parallel prozessiert wurden. Zentrales Beispiels ist dabei der Windkanal, in dem unterschiedlichste physikalische Modellbildungen simuliert werden. Erforscht werden sollen die Geschichte und Epistemologie v.a. der Anlagen der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt auf dem Standort Berlin/Adlershof als Analogcomputer, in denen sich hydrodynamisches Wissen als Schlieren, Nebelzüge oder Windfähnchen materialisiert.
 
Die historischen Vorläufer dieser analogen Simulationsmedien im Sinne einer Empirisierung und Formalisierung des technischen Wissens reichen bis ins 17. Jahrhundert zurück. Erste empirische Experimente zur Bestimmung und Optimierung der Form von Wasserrädern wurden durch Christopher Polhem um 1700 und John Smeaton um 1760 durchgeführt. Christopher Polhem (Polhammar) gründete 1697 in Schweden die erste Ingenieursschule, das »Laborium mechanicum« in Stockholm und führte aufwendige Testreihen zur Effizienz von Wasserrädern am Modell durch. John Smeaton erhielt 1759 die Copley Medaille für seine hydromechanischen Untersuchungen von Wasser- und Windmühlen. Er simulierte über knapp sieben Jahre hinweg die Physik von unterschiedlichen Typen von Wasserrädern in einem verkleinerten Modellversuch, an dem er 13 verschiedene Parameter ausmessen konnte. Weitere historische Stationen sind Gustave Eiffels Versuche 1905/06 am Eiffelturm oder die Windkanalversuche der Brüder Wright wenige Jahre zuvor, bis Vanevar Bush am 20. September 1940 keinem geringeren als Norbert Wiener vorschlägt, dessen »differential analyser« zum Design von Flugzeugflügeln und Patronenhülsen zu verwenden.
 
Die grundlegende These des Forschungsvorhabens ist, daß Rechnen und Abbilden innerhalb dieser Simulationen nicht voneinander zu trennen sind, sie finden als gemeinsame Praxis im Experimentalraum des Windkanals statt. Was die weiterführende Frage motiviert, ob und inwiefern in diesen Kulturtechniken der analogen Simulation Dispositive vorgezeichnet sind, die in der digitalen Simulation beispielsweise der Hochenergiephysik wiederbegegnen. Welchen Bildstatus also besitzen die empirischen Evidenzen, die im Windkanal als Form von Selbstschreibungen generiert werden?
 
https://www.lephana.de/dfg-programme/mecs
Publikationen
  1. Preprint
    Virtual Head and Analogue Simulation: John Smeaton, 1759
    Kassung, Christian
    2021
  2. Aufsatz
    Die Flügel der Concorde. Analogsimulation als Sichtbarmachung von Störung
    Kassung, Christian
    In: Visuelle Zeitgestaltung,  2019