Okkulte Moderne

Beiträge zur nichthegemonialen Innovation, seit 2011

Stromschreiber zur Aufklärung des Spuks von Rosenheim, 1967.

Gesellschaftliche Innovation durch ›nichthegemoniale‹ Wissensproduktion

DFG-Projekt, 2011–2016

An der Entstehung der heutigen Wissens- und Mediengesellschaft waren Gruppen beteiligt, die heute meist in getrennten Welten leben: Physiker und Okkultisten, Künstler und Spiritisten, Schriftsteller und Techniker, Philosophen und Mediziner. ›Nichthegemoniale‹ Gruppen waren in dieser Genese für wichtige Impulse und Innovationen verantwortlich. Insbesondere im Spiritismus wurden ›Fernwirkungen‹ und Kommunikationsformen aufgegriffen oder konzipiert, die als technische Medien (Telegraphie, Funk, Telefon, später Radio, Fernsehen) realisiert waren oder wurden.
 
Der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Forschungsverbund stellte das ›klassische‹ Narrativ der Moderne grundlegend in Frage: dass es sich im Okkultismus, d.h. im Anspruch, unbekannte Kräfte naturwissenschaftlich und empirisch zu erforschen, und verwandten Phänomenen um ›Pseudowissenschaftliche‹, ›antimoderne‹ oder ›regressive‹ Entwicklungen handele, dass die ›Immanentisierung‹ der okkulten Phänomene (also der Verzicht auf eine Deutung spiritistischer Phänomene über eine ›Jenseits‹-Metaphysik) durch die technischen Medien als abschließender Rationalisierungsprozess zu beschreiben sei, und dass Okkultismus und Wissenschaft im späten 19. Jahrhundert lebensweltlich scharf trennbare Dimensionen gewesen seien.
 
Ziel des Projeks war es, den bislang unzureichend erforschte Anteil nichthegemonialer Wissensproduktion an der Medialisierung der Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert zu rekonstruieren. Am Beispiel der Auseinandersetzung mit ›okkulten‹ Phänomenen wurde eine neue Perspektive auf die Wissens- und Gesellschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts entwickelt. Dabei ging es nicht um eine ›Gegengeschichte‹, sondern um die Interferenz von ›hegemonialen‹ und ›nichthegemonialen‹ Faktoren.
Publikationen

2015

  1. Aufsatz
    Selbstschreiber und elektrische Gespenster. Übertragungen zwischen Physik und Okkultismus
    Christian Kassung
    In: Von der Dämonologie zum Unbewussten. Die Transformation der Anthropologie um 1800, 2015

Gedankenlesen

DFG-Projekt, 2016–2019

Das Forschungsprojekt nahm sich zum Ziel, den Gegenstand des so genannten Gedankenlesens zu untersuchen. Gedankenlesen (mind reading) war seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ein Bezugspunkt für ein Ensemble von Akteur∗innen, die im Grenzgebiet der offiziellen Wissenschaften unterschiedliche Techniken diskutierten und erprobten, um jenseits der bekannten Kräfte und Eigenschaften von Geist und Materie ein Wissen über die Gedanken anderer Menschen zu erlangen. Dieses Praxis- und Forschungsfeld lässt sich insofern als nicht-hegemonial definieren, als seine Akteur∗innen keine nachhaltige Definitionsmacht über als legitim betrachtete Techniken im Forschungsfeld der Psychologie, Psychoanalyse und Psychiatrie besaßen.
 
Das Projekt fragte danach, in welchem Ausmaß Gedankenlesen dennoch zu einem Ausgangspunkt wurde, innerhalb der hegemonialen Diskurse und Praktiken neu und anders über Techniken der Wissensgenerierung über die Gedanken und Gefühle anderer Menschen nachzudenken. Als »Mind Reading« und »Gedankenlesen« wurde das Phänomen in unterschiedlich ausgerichteten Experimenten innerhalb der Psychologie und der Parapsychologie v.a. von wissenschaftlichen Gesellschaften wie der Society for Psychical Research oder der Deutschen Gesellschaft für Psychologie untersucht.
 
Das Projektziel bestand also darin zu untersuchen, in welcher Weise Reflexionen über Gedankenlesen vor dem Hintergrund der Rezeption okkultistischen und parapsychologischen Wissens die Entwicklung neuer Technologien bis in die 1950er und 1960er Jahre inspiriert hat. Insbesondere galt es herauszufinden, inwiefern nicht-hegemoniale Wissenstechniken Auswirkungen auf die Entwicklung von Technologien gehabt haben, die sich zu ihrer Zeit oder später als hegemonial erwiesen haben.
 
Technologien des Gedankenlesens sollten im Rahmen des Projekts mit Vorstellungen des 19. Jahrhunderts aus dem Bereich des Okkultismus in Beziehung gesetzt werden. Genauer sollte untersucht werden, auf welche Weise die Entwicklung digitaler Technologien vor dem Hintergrund der Diskussionen über Gedankenlesen innerhalb des Okkultismus und der Parapsychologie neu verstanden werden müsse.
Publikationen

2020

  1. Sammelband
    schlicht-seemann-kassung_2020
    Mind Reading as a Cultural Practice
    2020

Okkulte Moderne. Beiträge nur Nichthegemonialen Innovation

Schriftenreihe bei De Gruyter Oldenbourg herausgegeben von Christian Kassung, Sylvia Paletschek, Erhard Schüttpelz und Helmut Zander

2023

  1. Reihe
    vitanova-kerber-zander_2023
    Anthroposophieforschung. Forschungsstand – Perspektiven – Leerstellen
    2023

2022

  1. Reihe
    muehlematter_2022
    Accelerating Human Evolution by Theosophical Initiation. Annie Besant’s Pedagogy and the Creation of Benares Hindu University
    Yves Mühlematter
    2022

2021

  1. Reihe
    muehlematter-zander_2021
    Occult Roots of Religious Studies. On the Influence of Non-Hegemonic Currents on Academia around 1900
    2021

2020

  1. Reihe
    voss_2020
    Mediality on Trial. Testing and Contesting Trance and other Media Techniques
    2020
  2. Reihe
    lux_2020
    Wissenschaft als Grenzwissenschaft. Hans Bender (1907–1991) und die deutsche Parapsychologie
    Anna Lux
    2020

2016

  1. Reihe
    lux-paletschek_2016
    Okkultismus im Gehäuse. Institutionalisierungen der Parapsychologie im 20. Jahrhundert im internationalen Vergleich
    2016

2014

  1. Reihe
    sziede-zander_2014
    Von der Dämonologie zum Unbewussten. Die Transformation der Anthropologie um 1800
    2014