Vortex

Eine Kultur- und Wissensgeschichte des Wirbels, seit 2023

Vorspann »Vertigo« (Alfred Hitchcock, 1958), Saul Bass und John Whitney.

Der Begriff Vortex bezeichnet den trichterförmigen Sog einer Flüssigkeit oder eines Gases. Als Konzept aber wirbelt er ähnlich dynamisch die Ebenen des Bildes, der Metapher und des Begriffs durcheinander, wie das Phänomen, das er ist. So chaotisch diese Bewegung des Vortex ist, zeichnet sie sich doch durch zwei fundamentale Richtungen aus: die Rotation in der Ebene und die senkrecht dazu stehende Schwerkraft. Dabei entzieht sich der Strudel seiner Fixierung; er hat kein definiertes Innen und Außen. Das rotierende Außen greift potentiell unendlich weit. Das sogende Innen weist in eine andere Welt, es bricht die Dimension, zeigt auf das Reale.

Die kulturelle Breite des Vortex-Konzepts ist enorm. So läßt Herman Melville Ismaels Reise an Land beginnen, aber im Vortex enden. Während aber Ismael dem Strudel entkommt, werden wir als Zuschauer nur umso tiefer in die unentrinnbaren Gedankenströme Scottie Fergusons hineingezogen, den Alfred Hitchcock seiner totgelaubten Frau nachjagen läßt. Michel Serres sieht den Beginn der modernen thermodynamischen Physik bei Lukrez, wohingegen sich Descartes der Wirbel bedient, um damit – im Widerspruch zur Newtonschen Physik – die Schwerkraft zu erklären. Und während sich William Turner bei stärkstem Seegang an einen Mast binden läßt, um einen »Snow Storm« malen zu können, stürzt sich Tullio Crali 1939 »Im Sturzflug auf die Stadt«, um die Idee des Vortizismus zu illustrieren.

Luftwirbel der Concorde im Windkanal, 1965.

Vor diesem Hintergrund fragt das Projekt nach der spezifischen Realitätserfahrung, die sich im Blick in den Strudel manifestiert. Verweist die Gleichzeitigkeit von komplexer Hydrodynamik und moderner Subjekterfahrung auf eine krisenhafte Realitätsverdopplung, für die der Vortex als Bild und Metapher einsteht?

Publikationen
  1. Aufsatz
    Die Flügel der Concorde. Analogsimulation als Sichtbarmachung von Störung
    Kassung, Christian
    In: Visuelle Zeitgestaltung,  2019